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Wenn es einen Komponisten gab, der England im 20. Jahrhundert verkörperte, dann war es Ralph Vaughan Williams. Inspiriert von Volksliedern und Kirchenmusik, erweckte seine Musik das Land scheinbar zu klingendem Leben.
Von Michael Stegemann |
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Ralph Vaughan Williams: “The Lark Ascending”
Hilary Hahn, Violine; London Symphony Orchestra, Sir Colin Davis
Eine Lerche steigt über grünen, sanft geschwungenen Hügeln empor ins Himmelsblau: "The Lark Ascending“.Kein anderer Komponist hat die liebliche Landschaft Englands so stimmungsvoll und stimmig in Musik gesetzt wie Ralph Vaughan Williams, der am 12. Oktober 1872 in Down Ampney in der englischen Grafschaft Gloucestershire geboren wurde. Mehr noch als die seiner Kollegen Edward Elgar oder Gustav Holst ist die Musik von Vaughan Williams klingender Spiegel ihrer Herkunft und Heimat – inspiriert von den alten Traditionen der Volks- und Kirchenmusik, die ihm sein Lehrer Hubert Parry vermittelt hatte:
"Parry sagte mir mal: 'Schreiben Sie Chormusik, wie es sich für einen Engländer und Demokraten ziemt.‘ Er vermittelte uns Schülern die große englische Chor-Tradition, deren Fackel er an uns weitergab; und wir haben die Pflicht, sie am Brennen zu halten."
Choral zurKrönungvon Elisabeth II.
Als Sohn eines anglikanischen Geistlichen und als studierter Organist, bildeten Chor- und Kirchenmusik tatsächlich einen Schwerpunkt seines Schaffens – bis hin zum 100. Psalm, den er 1953 zur Krönung Queen Elizabeth II. in Musik setzte.
Ralph Vaughan Williams (1872-1958): „All people that on earth do dwell“
Winchester Cathedral Choir & Bournemouth Sinfonietta, Martin Neary
Sonst jedoch stand Vaughan Williams der Monarchie eher fern: Den Ritterschlag zum "Sir“ hat er ebenso abgelehnt wie den Titel eines "Master of the Queen’s Music“.
Nach dem Studium bei Parry in London und kurzzeitig bei Max Bruch in Berlin und Maurice Ravel in Paris hatte Vaughan Williams in den 1900er- und 1910er-Jahren seine ersten großen Erfolge mit der „Tallis-Fantasie“ für Streichorchester, dem Liederzyklus "On Wenlock Edge“ und den ersten beiden Symphonien: A Sea Symphony und A London Symphony".
Ralph Vaughan Williams (1872-1958): "A London Symphony – 4. Satz: Scherzo (Nocturne" [ Anfang ]
Hallé Orchestra, Sir John Barbirolli
Nach dem Ersten Weltkrieg, den Vaughan Williams als Soldat in Frankreich erlebte, übernahm er 1919 eine Kompositionsprofessur am Londoner Royal College of Music und leitete seit 1920 den Londoner Bach-Chor. Dabei blieb England das zentrale Thema seiner Musik – etwa 1939 in den "Five Variants“ über die alt-englische Ballade "Dives and Lazarus".
Ralph Vaughan Williams: Five Variants on „Dives and Lazarus“
Jacques Orchestra, Sir David Wilccocks
Außerhalb Englands ist Ralph Vaughan Williams‘ Musik lange Zeit wenig rezipiert worden. Seine acht Opern und zwei Ballette, Konzerte und Kammermusik, Lieder, Kirchen- und Chorwerke blieben auf dem Kontinent Repertoire-Raritäten – selbst ein so charmantes Stück wie das Basstuba-Konzert von 1954.
Ralph Vaughan Williams: "Konzert für Basstube und Orchester f-Moll“ - Kadenz
Philip Catelinet, Basstuba
Dabei hätten vor allem seine neun Symphonien größere Beachtung verdient, die in ihrer Zeit neben denen von Gustav Mahler, Jean Sibelius und Charles Tournemire ganz eigene Akzente für die Gattung setzten. Das Komponieren und Aufführen von Musik – so hat es Vaughan Williams einmal formuliert – gleiche einem alttestamentarischen Wunder:
"Ein alter Prophet erzählte einst von einem Tal voll trockener Knochen. Und diese trockenen Knochen erweckte er mit Zauberhand zum Leben, so dass sie sich erhoben und ein gewaltiges Heer bildeten .“
"A Pastoral Symphony" von Ralph Vaughan Williams
Der Soldat als Hirte
"A Pastoral Symphony" von Ralph Vaughan Williams
Der Soldat als Hirte
Beethoven schrieb "die" Pastoralsinfonie – Vaughan Williams "eine" Pastoralsinfonie. Ein gutes Jahrhundert nach der Wiener Klassik wurde das Werk des englischen Komponisten zum Spiegel einer Zeitenwende.
Roger Norrington dirigiert Vaughan Williams
Ein Sir auf Socken
"Dirigieren im Sitzen ist ein Vorzug des Alters", sagt der 81-jährige Roger Norrington. Ohne Schuhe sitzt er dann auch bei den Proben mit dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin für eine Aufführung aus dem Ralph Vaughn Williams-Zyklus.
Am 26. August 1958 starb Ralph Vaughan Williams im Alter von 85 Jahren und wurde in der Westminster Abbey beigesetzt. Fünf Monate zuvor war seine neunte und letzte Symphonie uraufgeführt worden.
Ralph Vaughan Williams: Symphonie Nr. 9 e-Moll – 3. Satz: Scherzo. Allegro pesante
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, Vernon Handley